Freitag, 28. November 2008

Otto Bauer und der Austromarxismus



Walter Baier / Lisbeth N. Trallori / Derek Weber (Hg.)
Otto Bauer und der Austromarxismus
"Integraler Sozialismus" und die heutige Linke
(Rosa-Luxemburg-Stiftung Schriften 16)
Berlin 2008 (Karl Dietz Verlag)
301 S.






Das Buch bietet eine Mischung aus historischen Analysen und Beiträgen, die Perspektiven linker Politik aufzeigen wollen. Wobei es das Anliegen der HerausgeberInnen ist, "die Abkanzelung des Austromarxismus als Tarnung opportunistischer Politik mittels radikaler Rheotrik durch eine differenziertere Sicht zu ersetzen. Seine Limits werden mit den Grenzen der fordistischen ArbeiterInnenbewegung des vorigen Jahrhunderts in Beziehung gesetzt. Es ist diese Perspektive, aus der sich das Verhältnis von Reform und Revolution für heutige Verhältnisse neu bestimmen ließe."
Bemerkenswert für ein Werk, das aus dem Umfeld der kommunistischen Tradition kommt, die ersteres stets verfochten hat. In den Beiträgen, die das angesprochene Ziel leisten sollen, wurde dabei hauptsächlich auf bekannte linkssozialdemokratische Ansätze und AutorInnen zurückgegriffen. So Fritz/Derek Weber, der schreibt: "Bauer war - auch wenn er in seiner politischen Taktik und Strategie letzten Endes zu den sozialdemokratischen Reformpolitikern gezählt werden muss - ein Wortführer des westlichen Marxismus, der die Errungenschaften der bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts bewahren und in der sozialistischen Revolution gleichsam aufheben, nicht durch sie abschaffen wollte. Gleichzeitig war er sich darüber im Klaren, dass die ökonomischen Verhältnisse in einem entwickelten Land viel komplizierter waren als im rückständigen Russland."
Hierbei war es interessant, Giacomo Marramaos Interpretation auf Deutsch (ich hatte ihn bisher mangels Italienischkenntnissen nicht berücksichtigt) zu lesen - auch wenn sein Text, wie am Bezug zur Sekundärliteratur erkennbar, aus den 1970er Jahren stammt.

Die große Stärke des Buchs ist sein Augenmerk auf Aspekte, die in der breiten Austromarxismus-Rezeption der 1960er bis 1980er Jahre unbeleuchtet geblieben sind, wie vor allem die Frauen- und Genderfrage. Ich habe einiges von und über AustromarxistInnen gelesen, aber die v.a. Artikel von Karin Schneider über "frauen- und genderpolitischen Positionen im Austromarxismus" und von Eveline List über Margarethe Hilferding brachten mir einiges an Neuem und bieten einen wesentlichen Beitrag zur historischen Analyse und Bewertung der österreichische Sozialdemokratie bis 1934.
Der weiters im Band enthaltene Überblick über Arbeiten der jüngeren Vergangenheit (etwa Tommaso La Rocca über Religion, Manfred Bauer über Friedrich Adler) machen das Buch zu einem aktuellen Referenzwerk.

Michael Krätke bemüht sich seit längerem verdienstvollerweise um die Edition eines unveröffentlichten Manuskripts Otto Bauers zur Weltwirtschaftskrise. Seit Jahren ist dessen Erscheinen bereits angekündigt, seit Jahren wird der Termin immer wieder nach hinten verschoben, seit Jahren warte ich darauf. In seinem Beitrag gibt Krätke die Edition aber als bereits erschienen an, obwohl dies nicht der Fall ist - dies ist sehr ärgerlich! Umso mehr, da Krätkes Text, der der Einleitung der Edition zu entsprechen scheint, das Interesse noch größer macht.

Manche Beiträge im Band sind mir zu wenig der historischen Analyse verpflichtet - was mein hauptsächliches Interesse ist (die Vergangenheit zu kennen, die per se interessiert), weniger herausgegriffene Stellen zur gegenwärtigen politischen Verwertung (Baiers Gedanken zu Bauers Konzept des "integralen Sozialismus", das einer spezifischen historischen Situation entstammt, überzeugen mich nicht).
Manches ist sehr seltsam, wie der zwischen aus vergangenen Jahrzehnten bekannter parteikommunistischer Geschichtsinterpretation und obskur changierende Artikel zur "nationalen Frage" und ein Text zur KPÖ-Geschichte, wo man sich eher fragt, was der hier soll.

Der Band ist das Buch zu einer im Dezember 2006 von der KPÖ und deren europäischen Plattform in Wien abgehaltenen Konferenz. Laut den Tagungsunterlagen für Sommer 2007 geplant gewesen, ist er heuer, im Jahr des 70. Todestags von Otto Bauer, erschienen. Die Tagung hatte ich an einem der drei Tage (der hauptsächlich der Historie gewidmete Samstag) ob des Settings mit gemischten Gefühlen besucht. Das Buch überzeugt mehr.

Mittwoch, 26. November 2008

Arbeit und Wirtschaft, 10/2008



Arbeit & Wirtschaft
Herausgegeben von AK und ÖGB
Nr. 10/2008
62 S.






Das Heft dreht sich vor allem um Betriebsräte, ihre Arbeit, organisatorische Veränderung von Gewerkschafts- und Betriebsratsarbeit, den Europabetriebsrat für länderübergeifende Unternehmen. Interessant die internationale Perspektive durch Berichte über Dänemark (mit hohem gewerkschaftlichen Organisationsgrad), Ecuador (wo die Gewerkschaften zerschlagen und praktisch inexistent sind) bis hin zu den USA, wo 80 Prozent der Unternehmen "Union Busters" engagieren, die Gewerkschaften verhindern sollen oder etwa die Supermarktkette Wal Mart ihren Angestellten verboten hat, für Barack Obama zu stimmen.

Montag, 24. November 2008

Graz

23.11.2008

Den Uhrturm einrüsten und eine Art Riesenrad aufstellen. So kann Graz den Hauptstädter nicht überzeugen, da bleibt nur das Stadion als Destination.


Freitag, 21. November 2008

Der lange Tag der Rache


Der lange Tag der Rache
(I lunghi giorni della vendetta)
Italien/Spanien 1966
Regie: Florestano Vancini
u.a. mit: Giuliano Gemma, Conrado San Martín, Nieves Navarro





Ein ästhetisch sehr schöner Italowestern, der nicht nur optisch ein Genuß ist, sondern auch eine interessante Handlung um einen zu Unrecht im Gefängnis Sitzenden bietet, der ausbricht, um die Intrige gegen ihn aufzudecken.
Und wieder einmal werde ich erst nachher durch Ulrich Bruckners Italowestern-Anthologie darauf hingewiesen, daß der Film die Transferierung eines literarischen Stoffes in den Italowestern ist, nämlich von Der Graf von Monte Christo. Ertappt: meine Kenntnisse der Literaturgeschichte sind genauso gegen Null gehend wie die des aktuellen Literaturgeschehens.

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.123-125

Mittwoch, 19. November 2008

Transit 35



Transit 35
Europäische Revue
Sommer 2008
196 S.







Die Transit-Ausgabe widmet sich dem Umgang mit der Vergangenheit. Interessant dabei v.a. Heidemarie Uhls Schuldgedächtnis und Erinnerungsbegehren. Thesen zur europäischen Erinnerungskultur und Aleksander Smolars Artikel über Geschichtspolitik in Polen. Unglaublich ergreifend der Augenzeugenbericht über die Ermordung jüdischer ZivilistInnen durch Deutsche in Mariupol 1941 von Samuil Aronovich Belous, aus dem von Timothy Snyder vorgestellten Unbekannten Schwarzbuch, einer diesbezüglichen Sammlung.
Einen guten Kontrast zur im westlichen Diskurs dominanten Wahrnehmung von "1968" bieten weiters Texte über die Tschechoslowakei, Polen und die sowjetische westliche Ukraine 1968.

Montag, 17. November 2008

Der Tod ritt dienstags



Der Tod ritt dienstags
(I giorni dell'ira)
Italien/BRD 1967
Regie: Tonino Valerii
u.a. mit: Giuliano Gemma, Lee Van Cleef, Walter Rilla






Großartige Schauplätze, der immer großartig anzuschauende Lee Van Cleef im Bild (der kerzengerade aufrecht steht, auch wenn er nach Folterung blutüberströmt ist), großartig pathetische Musik, großartige Szenen wie ein an ein Ritterturnier gemahnendes Duell zu Pferd... Ein schöner Film. Und spannend durch den sich langsam aufbauenden zweifachen Vater-Sohn-Konflikt. Gemma im Dilemma zwischen zwei Vaterfiguren: Wer hat recht? Kann der, der ihn aus der Unterdrückung gerettet hat, wirklich ein Böser sein?
Es gibt nur wenige Italowestern, in denen die Charaktere derartige Entwicklungen machen, v.a. Gemma glänzt hier. Dazu ein Schuß Humor (nicht zuviel!), ordentlich Brutalität, die verkommene Kleinstadt-Oligarchie.

Literatur:
Ulrich P. Bruckner, Für ein paar Leichen mehr. Der Italo-Western von seinen Anfängen bis heute. Stark erweit.u.aktual.Neuausg., Berlin 2006, S.155-158

Freitag, 14. November 2008

Datum 11/08



Datum
November 2008
98 S.







Eine interessante Reportage bietet das Heft über die Schließung des Glanzstoffwerks in St. Pölten und die schwierige Situation, daß damit einerseits hunderte Menschen ihre Arbeit verlieren, aber andererseits der typische Gestank der Stadt ein Ende haben wird.

Gut auch Florian Gassers Artikel über das berühmte (zumindest für den Historiker, der sich mit der Zwischenkriegszeit beschäftigt hat) Wörgler Schwundgeld-Experiment 1932/33 und seinen Initiator, den sozialdemokratischen Bürgermeister Michael Unterguggenberger. Auch wenn es "nur" von historischem Interesse ist und seine Aussagekraft beschränkt ist, kann ihm doch gar nicht zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet werden. Leider gibt der Autor keine Quelle für seine Recherche an, daher vermute ich einfach mal, daß er das voriges Jahr erschienene Buch Schwundgeld von Wolfgang Broer gelesen haben wird. Sollte man der Ehrlichkeit halber anführen.

Auch sonst sehr schöne Geschichten. Ein rundes, gelungenes Heft. Nur bei dem Leichenbestatter hat's mir schon sehr gegraust - ich habe Six Feet Under im Fernsehen ja sehr gemocht, aber eher nicht wegen Details, was die da genau mit den Toten machen.

Mittwoch, 12. November 2008

ÖZP 2008/2



Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft
2008/2
111 S.





Das Schöne an Zeitschriftenabos ist ja, daß man(n) Hefte mit Schwerpunktthemen bekommt, mit deren Themenstellungen man(n) sich sonst eher nicht beschäftigt hätte. So das (mittlerweile auch schon gut abgelegene) Heft No.2 der ÖZP 2008, Feministische Perspektiven zu Anti/Terror/Kriegen. Es gibt Interessantes zu Soldatinnen in den USA, Selbstmordattentäterinnen, Frauen im failed state Somalia, Kritik an feministischen Rechtfertigungsmustern für die US-Kriegsführung.

Am meisten im Kopf herumgespukt hat Simona Sharonis Artikel über militarisierte Männlichkeit:
"All too often, the de-humanization of the 'other' has been not only central to militarization but also a legitimate practice that is rewarded by one's national collectivity. [...] Given the context of militarized patriotism that has been a centerpiece of U.S. culture since 9/11, soldiers who resist militarization have to take some great personal risks as they begin to de-militarize their identities. [...] To de-militarize masculinities and to de-legitimize the military system that they uphold and the militarized foreign policy they serve, we must distinguish between the military as a system, militarization as a process, and soldiers as human beings. A powerful and effective way of doing that is by reaching out to soldiers and listening to their stories. Because war cannot be fought without militarized masculinities, soldiers' war stories, which help de-mystify war, also work in turn to weaken, if not undo, the tightly constructed knot between masculinities and violence."
Sie zitiert dazu eine Aussage des US-Soldaten Camilo Mejia, der nach achtmonatigem Einsatz im Irak nicht zum zweiten Mal dorthin geschickt werden wollte, woraufhin er für neun Monate ins Gefängnis gesteckt wurde: "To those who have called me a coward I say that they are wrong, and that without knowing it, they are also right. They are wrong when they think that I left the war for fear of being killed. I admit that fear was there, but there was also the fear of killing innocent people, the fear of putting myself in a position where to survive means to kill, there was the fear of losing my soul in the process of saving my body, the fear of losing myself to my daughter, to the people who love me, to the man I used to be, the man I wanted to be. I was afraid of waking up one morning to realize my humanity had abandoned me."

Montag, 10. November 2008

Gomorra


Gomorrha – Reise in das Reich der Camorra
(Gomorra)
Italien 2008
Regie: Matteo Garrone
u.a. mit: Salvatore Abruzzese, Salvatore Ruocco, Gianfelice Imparato, Maria Nazionale




Der Film zum gleichnamigen Reportagebuch über die neapolitanische Camorra von Roberto Saviano, der unlängst nicht nur zum Film einige mediale Aufmerksamkeit erhalten hat, sondern auch deswegen, daß er wegen Drohungen gegen Leib und Leben Polizeischutz benötigt und aus Italien auswandern will.

Der deutsche Subtitel des Films Reise in das Reich der Camorra trifft den Inhalt. Geschildert wird der Alltag einfacher Menschen in dieser Welt. Jugendliche Nachwuchsmafiosi, die Tony Montana, die Hauptfigur des US-Films Scarface, als Vorbild haben und sich schlußendlich an der realen Welt übernehmen. Das Leben und Sterben in einem heruntergekommenen, klaustrophobischen, dabei aber unglaublich authentischen Wohnsilo. Ziemlich bedrückend.

Gefehlt hat mir die politische Dimension, diese findet sich wahrscheinlich im von mir nicht gelesenen Buch (das ewige Dilemma: man kann nicht alles lesen). Eine solche Welt ist natürlich ohne diese Dimension nicht konstruierbar. Die Einbindung der mafiösen Welt in die "cleanen" Wirtschaftsbeziehungen wird dafür sehr anschaulich illustriert, anhand der Beispiele von sweatshopartigen Schneidereien für die Modewelt und der illegalen (Gift-)Müllentsorgung im Raum Neapel (in den letzten Monaten auch medial sehr präsent).

Als Aufklärungsfilm funktioniert Gomorra daher nur bedingt (diese Absicht wird nicht zuletzt im Abspann überdeutlich) - als Spielfilm funktioniert er mit seinen Handlungssträngen hingegen sehr gut. Gut erzählt, gut gespielt (der schwer verunsicherte, schweigsame Don Ciro!). Und mit der (filmisch) schönen Schlußszene, die über ihre Aussage zum Denken anregt.

Freitag, 7. November 2008

Das Lächeln der Henker



Anton Holzer
Das Lächeln der Henker
Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918
Darmstadt 2008 (Primus Verlag)
208 S.






Im Spectrum der Presse ist an letztem Wochenende ein Artikel des ehemaligen Direktors des Heeresgeschichtlichen Museums, Manfried Rauchensteiner, über das Ende des Ersten Weltkriegs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht erschienen (Die Villa des Senators Giusti, Die Presse, 31.10.2008, Spectrum, S.If.) wie es sie seit Jahrzehnten immer wieder gibt: die Tragik der Soldaten und der kriegsverlierenden Armee an der italienischen Front. Und schlußendlich der Kaiser, der "vergaß, jenen zu danken, die in seinem Namen und letztlich auch für ihn einen Weltkrieg durchlitten hatten. Auch die Republik Deutschösterreich fand kein Wort des öffentlichen Danks". Die Soldaten als die Opfer des Krieges.

In Rauchensteiners Opus magnum Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, dessen 700 Seiten ich vor eineinhalb Jahrzehnten noch als Schüler geradezu verschlungen habe, kommen Verbrechen österreichischer Soldaten praktisch nicht vor. Ich habe erst wieder nachschlagen müssen, um festzustellen, daß sogar ein Kapitel Im Schatten des Galgens heißt, wo ein Massaker an serbischer Zivilbevölkerung gleich im August 1914 erwähnt wird und Rauchensteiner schreibt, daß sich in Galizien "der als Abschreckung gedachte Terror" der k.u.k. Armee, also massenweise öffentliche Hinrichtungen von, hier hauptsächlich ukrainischen und jüdischen, Einheimischen als "Spione" und "Verräter", "auch gegen die eigene Bevölkerung" richtete. Im Bildteil findet sich auch ein (1) Foto einer solchen Massenhinrichtung (Bildtext: "Auf dem galizischen wie auf dem Balkankriegsschauplatz ging die Furcht vor Spionen um. Verdächtige, aber auch Unschuldige wurden zu Tausenden hingerichtet, wie hier irgendwo in Serbien.")

Die Verbrechen werden in diesem Standardwerk erwähnt, kurz und nur kursorisch im Vergleich zur detaillierten Schilderung des Kriegsverlaufs aus österreichisch(-ungarisch)er Sicht, aber eben doch. Und dennoch hat Holzer Recht, wenn er in seinem Buch über den unbekannten Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914-1918 schreibt:
"Eine der zählebigsten Klischees über den Ersten Weltkrieg lautet: Es war ein Krieg, der vorwiegend an der Front geführt wurde und es handelte sich - trotz der gewaltigen Materialschlachten - vor allem um einen Krieg von Soldaten gegen Soldaten." Durch die eindrucksvollen Bilddokumente, die Holzer präsentiert und nachvollziehbar kommentiert, kommt man nicht umhin, seinen Schluß zu teilen: "Tatsächlich aber [...] richtete sich dieser Krieg mit ebenso großer Brutalität - wenn auch mit anderen Methoden und Waffen - mindestens ebenso gegen die Zivilbevölkerung. Diese systematische Ausweitung der Kampfzone ist bisher ein zu wenig beachtetes Kennzeichen des Ersten Weltkrieges."

Holzer nimmt hier ein Kapitel seines Vorgängerbuchs Die andere Front auf, in dem er die Wirkung und den Einsatz der Photographie zur Propaganda im Ersten Weltkrieg analysierte. Er präsentiert und kommentiert Bilder von zumeist außergerichtlichen Hinrichtungen von ZivilistInnen durch österreichisch-ungarische Soldaten, stellt sie in den historischen Kontext und zieht schließlich Schlußfolgerungen zur "Pornographie der Gewalt", von der Hinrichtung der Lincoln-MörderInnen 1865 bis zu Abu Ghraib 2004. Negativ sind nur ein manchmal etwas zu moralisierender Ton und die oftmaligen Wiederholungen von bestimmten Stellen ("als 1917 das Wiener Parlament wieder zusammentrat...").

Das Leiden der einfachen Soldaten ist mit Sicherheit unvorstellbar furchtbar, kritische Geschichtswissenschaft rückte es in den Vordergrund, dazu die wirtschaftliche Not, den Hunger der Millionen im ganzen Land, der den Untergang von Monarchie und Habsburgerreich zur Frage der Zeit machte. Holzer legt seinen Finger in eine klaffende Wunde, die bisher einfach nicht genügend berücksichtigt wurde: Zum Nationalismus, der die Grundfesten des Reichs nahe an den Einsturz gebracht hatte, kamen mit dem Weltkrieg nicht nur die tiefen sozialen Spannungen und die militärische Niederlage, sondern auch der Terror des Militärs - nicht "nur" in den militarisierten Industriebetrieben und in den besetzten Gebieten, sondern eben auch im eigenen Territorium. Die Monarchie wurde nicht mit dem Kondukt Kaiser Franz Josephs 1916 oder mit dem Scheitern der letzten Offensive in Italien 1918 zu Grabe getragen (und auch nicht mit dem Jännerstreik 1918), sie starb zu tausenden an den Galgen der k.u.k. Armee. Sie starb als gehenkter ruthenischer Pope und als erschossene serbische Frau.

Mittwoch, 5. November 2008

Wörthersee

Die Klagenfurter Wörtherseeküste in der Dämmerung gestern Abend (vor dem Rapid-Spiel). Wenn Kärnten erträglich ist: Es ist finster und ruhig, die Berge und die Menschen sind nicht zu sehen.

Montag, 3. November 2008

Karl-Marx-Hof - Versailles der Arbeiter


Gerald und Genoveva Kriechbaum (Hg.)
Karl-Marx-Hof - Versailles der Arbeiter
Wien und seine Höfe
Fotografiert von Gerald Zugmann
Wien 2007 (Holzhausen)
152 S.





Das Buch ist hauptsächlich ein Architekturbildband über den Döblinger Karl-Marx-Hof, kontextualisiert durch historische Artikel über die Gemeindebauten des Roten Wien, Biographisches zum Architekten, Interviews mit jahrzehntelangen Bewohnerinnen und Bewohnern sowie, für den Vergleich, kurzen Abrissen über andere typische Gemeindebauten (Teil Wien und seine Höfe).

Die Bildstrecken des Architekturphotographen Zugmann sind tatsächlich ziemlich eindrucksvoll, auch wenn man den Bau kennt. Der Beitrag von Gert Kähler über die Bautätigkeit der Gemeinde Wien in der Zwischenkriegszeit bietet dazu eine gute Zusammenfassung der historischen Hintergründe des kommunalen Wohnbauprogramms. Nicht ganz sattelfest dürfte er nur in ballestrischen Dingen sein, da er schreibt, daß "alle zwei Wochen 50.000 Fußballfans von der Stadtbahn ins Hohe-Warte-Stadion zur 'Wunderelf' der Vienna" durch die großen Torbögen gezogen wären. Das Stadion war und ist bis heute dasjenige der Vienna, Wunderteam war aber die Nationalmannschaft, die dort in den 1920er und 30ern spielte. Sehr interessant ist die von Genoveva Kriechbaum vorgestellte, sehr österreichische Biographie des Architekten des Karl-Marx-Hofs, Karl Ehn, städtischer Beamter unter Monarchie, Rotem Wien, Austrofaschismus, Nazi-Zeit und Zweiter Republik. Leider fehlen bei allen AutorInnen jegliche Anmerkungen, Literaturhinweise oder sonstige Quellenangaben, was den Wert ihrer Texte schmälert und das Buch über den Status des schönen Bildbands hinausgehoben hätte.

In fünf Interviews erfahren wir zum Abschluß des Buches über das vergangene Gemeinschaftsleben, für das der Bau konzipiert war, und die heutigen Probleme des Lebens im Gemeindebau.