Freitag, 30. August 2013

Tiflis

29.8.2013

Ein leider nur verhältnismäßig kurzer Nachmittag blieb vor dem Rapidspiel am Abend, doch er wurde gut zur Stadtbesichtigung der georgischen Hauptstadt Tiflis (georgisch თბილისი, Tbilissi) genutzt. Rund 1,2 Mio. Menschen leben hier.

Die Altstadt liegt recht malerisch im Tal des Flusses Kura. Seit der Antike kreuzten sich hier die alten Karawanenstraßen vom Schwarzen Meer nach Persien, Indien und China. Dies machte Tiflis über die Jahrhunderte aber auch zum Ziel vieler Kriege. Die Stadt wurde unzählige Male erobert und zerstört, die hier lebenden Menschen umgebracht, vertrieben oder versklavt. Hier herrschten das byzantinische, das persische, das seldschukische, das mongolische, das osmanische, wieder das persische und schließlich das russische Großreich. Dazwischen und daneben war Tiflis seit dem 5.Jh. die Hauptstadt georgischer Königreiche.


Über der Altstadt liegt die mittelalterliche Burg Nariqala (ნარიყალა). Sie wurde ursprünglich am Ende des 3.Jh. unter der Herrschaft der persischen Sassaniden erbaut und nachfolgend immer wieder belagert, zerstört, wiederaufgebaut. Die Mehrzahl der heute sichtbaren Gebäude stammt aus dem 8.Jh. Der Name der Festung entstammt dem persischen Wort Nari-Qala und bedeutet uneinnehmbare Burg. Unter arabischer Herrschaft wurde hier im 6.Jh. ein astronomisches Observatorium eingerichtet, das bis zum 14.Jh. arbeitete. Nach der russischen Besetzung 1799 hatte die Burg keine strategische Bedeutung mehr als Militäranlage. Daher wurde sie nicht mehr wiederaufgebaut, nachdem 1827 ein Blitz ein Pulvermagazin getroffen und die Explosion die Anlage weitgehend zerstört hatte.


Am gegenüberliegenden Ufer des Flusses Kura steht auf einem Plateau die Metechi-Kirche (მეტეხის ეკლესია) aus dem 13.Jh. Ursprünglich war hier oben die georgische Königsresidenz, deren Teil die Kirche war. Unter russischer Herrschaft wurde daraus im 19.Jh. zunächst ein Pulvermagazin und später ein Gefängnis. Nach der sowjetischen Besetzung Georgiens 1921 sperrten diese hier viele politische Gefangene ein, bevor sie die Anlage 1937 abrissen. Seither steht die Kirche allein. Zur Zeit der Sowjetunion diente das Kirchengebäude bis 1988 als Jugendtheater. 1967 wurde am Plateau ein Reiterdenkmal für den georgischen König Wachtang I. Gorgassalis aus dem 5.Jh. errichtet.


Links das Plateau der einstigen Königsburg und rechts die Burg Nariqala.


Etwas abseits davon thront seit 1958 hoch über der Stadt die Monumentalstatue Kartlis Deda (ქართლის დედა, „Mutter Kartli“). Sie symbolisiert die Stadt Tiflis, die Mutter Georgiens. Sie schaut mit leicht geneigtem Kopf auf die Stadt, hält eine Schale Wein für die Freunde in der linken Hand, ein Schwert gegen die Feinde in der rechten.


Die Sioni-Kathedrale (სიონის ეკლესია) wurde zwischen 575 und 639 errichtet. Von dem ursprünglichen Kirchengebäude ist nach mehreren Zerstörungen und Wiederaufbauten, zuletzt durch die persischen Eroberung 1795, übererdig nichts mehr erhalten. Der heutige Kirchenbau stammt aus dem 17. bis 19.Jh.
Am 12. April 1802 versammelte der russische General Carl Heinrich Knorring (ein Deutsch-Balte) hier in der Kirche den georgische Adel und Klerus und zwang sie mit Waffengewalt zum Eid auf die russische Zarenkrone. Würdenträger, die widersprachen, wurden an Ort und Stelle von Soldaten abgeführt und eingesperrt.


Im Altstadt-Grätzel um die Kathedrale gibt es innerhalb von ein paar hundert Metern viele Kirchen verschiedener Provenienz, aber auch eine Moschee und hier eine Synagoge. Tiflis war historisch bekannt für religiöse Toleranz.


Es gibt einige stimmungsvolle Altstadtgassen, aber auch sehr viele leerstehende Altbauten. Unverkennbar ist der orientalische Einfluß in der Architektur.




Am Ende der historischen Altstadt tut sich der große Freiheitsplatz (თავისუფლების მოედანი, Tawisuplebis Moedani) auf. Hier beginnt das in der ersten Hälfte des 19.Jh. unter russischer Herrschaft angelegte russische Verwaltungsviertel. Zur Zeit der Sowjetunion stand in der Mitte ein Lenindenkmal. 1990 kam die Statue weg und ein Springbrunnen hin, 2006 wurde eine unzeitgemäß kitschige Säule mit goldenem Standbild des christlichen Heiligen Georg errichtet.


Das dominante Gebäude am Freiheitsplatz wurde 1820 als Polizeipräsidium errichtet und von 1881 bis 1886 zum Rathaus umgebaut. Heute sind im Erdgeschoß Geschäfte, darüber sah es leerstehend aus.


Die U-Bahn-Stadion am Freiheitsplatz. Die georgische Schrift blieb für mich unlesbar. Vom Freiheitsplatz aus führt der breite „Rustaweli-Boulevard“ (Rustawelis Gamsiri, რუსთაველის გამზირი) durch das russische Viertel.


1854 ließ sich hier der russische Fürst Muchran-Batoni einen Gouverneurspalast errichteten, der dann zwischen 1865 und 1869 ausgebaut wurde. Am 26. Mai 1918 wurde hier die Unabhängigkeit Georgiens beschlossen und bis zur militärischen Besetzung Georgiens durch die sowjetische Armee 1921 tagte hier das Parlament einer nach demokratischen Wahlen sozialdemokratisch regierten, unabhängigen Republik Georgien. Dann wurde daraus ein sogenannter Jugendpalast.


Direkt daneben wurde in Monumentalbauweise bis 1938 das Regierungsgebäude des sowjetischen Georgiens erbaut, das heute das Parlament beherbergt. Nachdem im Frühjahr 1989 Demonstrationen für die Unabhängigkeit Georgiens begonnen hatten, trat vor dem Regierungsgebäude eine Gruppe Menschen in öffentlichkeitswirksamen Hungerstreik. Am 9. April 1989 wurde dieser durch den Einsatz sowjetischer Soldaten unter dem späteren russischen Politiker Oberst Alexander Lebed beendet. Mit Giftgas und scharf geschliffenen Schaufeln trieben sie die Menschen auseinander und brachten dabei zwanzig davon um.


Rustawelis Gamsiri und Freiheitsplatz waren 1956 Schauplatz des Massakers von Tiflis, bei dem sowjetische Soldaten bis zu 150 Demonstrantinnen und Demonstranten erschossen. Hunderte wurden verletzt und verhaftet. Die Protestbewegung hatte sich ursprünglich gegen die Entstalinisierung gewendet, da nach den Jahrzehnten des Personenkults Stalin von vielen als Georgier verehrt wurde, der über Rußland herrschte. Bald hatte sich der Protest aber zum nationalistischen Aufbegehren gegen die sowjetische Herrschaft über Georgien gewendet.
An die Ereignisse von 1956 erinnert die Gedenkttafel. Sie hat mehrere Einschußlöcher. Diese rühren vom sogenannten Tifliser Krieg her, der hier von Dezember 1991 bis Jänner 1992 tobte. Teile der Armee und paramilitärische Milizen von Warlords kämpften mitten in der Stadt gegen Truppen des diktatorisch regierenden Präsidenten Gamsachurdia. Dabei kamen offiziell zwischen 100 und 1.000 Menschen ums Leben, wahrscheinlich waren es etwa 2.000.


Das geschlossene Sachari-Paliaschwili-Theater für Oper und Ballett am Rustawelis Gamsiri. Es wurde 1896 in maurischem Stil erbaut, was wieder einmal den orientalischen Architektureinfluß in Tiflis zeigt.


Ein Beispiel der neoklassizistischen Monumentalarchitektur zu stalinistischer Zeit ist das 1938 fertiggestellte Gebäude des einstigen Marx-Engels-Lenin-Instituts, bezeichnet nach der georgischen Abkürzung IMELI (იმელი). Der Marmor kam vom armenischen Pantheon, einem großen Friedhof mit Kirche, das 1934 zerstört und abgerissen wurde.


Blick über den Fluß Kura


Es ist Tiflis, aber hier auf der von hochpreisigen Geschäften gesäumten Davit Aghmashenebeli Avenue könnte es auch Italien sein.

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